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  • »Fremdspielen«

    veröffentlicht: Martin Kohlhaas, Sonntag, 31.07.2011 in Kinder, Medien

    Ein neuer Kinderzimmertrend macht mich echt ratlos. Eine aktuelle Lieblingsbeschäftigung ist es, sich Videos anzusehen, auf denen andere Computerspiele spielen und diese dabei kommentieren.

    Ich will mal versuchen, das für mich auseinanderzudröseln: Wenn ich ›in Echt‹ LEGO baue oder Fußball spiele, dann mache ich das selbst, erreiche irgendein Ergebnis und kann dann hinterher darauf stolz sein oder nicht. Das ist die althergebrachte ›normale‹ Ebene.

    Jetzt kann ich beides auch am Computer spielen. Also ich baue LEGO mit dem Lego Digital Designer, das hat verschiedene Vorteile, z.B. unendlich viele Steine und keine Unordnung im Zimmer. Lernen tue ich dabei trotzdem was, schließlich habe ich auch alle Objekte selbst gebaut, kann diese fotografieren und hinterher als mein eigenes Werk umherzeigen. Letztendlich kann ich die virtuellen Modelle sogar echt nachbauen. Spiele ich Fußball am Computer, dann kann ich nur lernen, gut Fußball am Computer zu spielen, also die richtigen Tasten schnell genug in der richtigen Reihenfolge zu drücken. Mag sein, dass noch etwas Strategie dazugehört, was auch immer. Spiele ich mit meinen Kumpels Fußball am Computer kann ich immerhin sagen, ob ich gewonnen habe oder nicht und mich dementsprechend darüber freuen. Das sind Beispiel für die ›Ebene 2‹, so will ich das mal nennen.

    Und jetzt kommt das Neue: Ich sitze am Computer und schaue mir ein Video an, wo andere am Computer Fußball spielen, oder Minecraft, oder Sims, oder, oder. Ich sehe also, wie gut die anderen das Spiel beherrschen oder nicht. Ich kann mir ein paar Spielzüge abschauen oder sehen was die bauen aber eigentlich lernen kann ich dabei nix. Also nur Zeitvertreib (nett ausgedrückt). Der Punkt der Übersetzung vom ›Fremdspielen‹ zum ›Selbstspielen‹ findet ja nicht statt. Die beisten beobachteten Spiele hat man ja nicht selbst auf dem Rechner, kann also die beobachteten Erfahrungen gar nicht selbst machen und damit bewerten. Das ist dann also eine dritten Ebene.

    Letztendlich kann dabei doch nur Leere zurückbleiben: Ich erbringe keine eigene Leistung, weder real noch virtuell (wobei ich das Bauen eines virtuellen LEGO-Modells durchaus als reale Leistung ansehen würde). Ich kann also nur sagen ›Ich hab’ da mal wen gesehen, der in Minecraft das und das gebaut hat …‹. Das ist ganz schön armselig. Eine Art von Selbstbestätigung läßt sich dadurch nicht beziehen. Die Möglichkeiten zum Angeben in der Klasse lassen sich nur daraus beziehen, dass man etweder möglichst krasse Spiele gesehen hat oder ›alle‹ Minecraft-Videos oder so und mit enzyklopädischem Wissen über alle vorkommenden Sprüche glänzen kann.

    Worin unterscheidet sich nun diese Freizeitbeschäftigung vom Fernsehen meiner eigenen Kindheit? Meiner Erinnerung nach gab es da auch einige/etliche sinnlos verbrachte Nachmittage mit Tennis (Boris, Michael und Steffi), Golf (super entspanned) und Vorabende mit Serien wie ›Ein Colt für alle Fälle‹, ›Hart aber Herzlich‹, ›Die Abenteuer des Dick Turpin‹, ›A-Team‹ usw. – alles rückblickend wohl auch keine Sternstunden des Bildungsfernsehens.

    Das ›Fremdspielen‹ hat diese Form der Unterhaltung ersetzt. Klassisches Fernsehen gibt es bei uns so gut wie nicht. Ein Unterschied ist aber sicherlich die Art des Zugangs, sowohl zeitlich wie auch räumlich. Während ich damals immer ins Wohnzimmer musste, was immer unterschwellige Kontrolle mit sich brachte, können die Jungs heute per iPod/Pad und Laptop im ganzen Haus zu jeder Zeit auf ihre Videos zugreifen. Einen Überblick über die Menge der dabei verdaddelten Zeit haben dann weder sie selbst noch ich. Vielleicht ist hier ein Ansatzpunkt: einfach mal den WLAN-Router umpositionieren und die Schlafetage vom Netz trennen, dann muss zum abhängen vorm Bildschirm wieder das Wohnzimmer herhalten, wobei man dann immermal selbst einen Blick über die Schulter werfen kann, um zu sehen, was da läuft.

    The evil web site: http://gronkh.de/lets-play

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